Die kleine Leonor (8) blickte etwas verlegen, als ihr der langjährige Regierungschef Felipe Gonzales (72) beim Empfang im Königspalast die Hand küsste.
Und auch ein bisschen stolz. Jetzt ist das kleine Mädchen Thronfolgerin mit dem Titel Fürstin von Asturien. Ab sofort erhält Leonor ein jährliches Gehalt von knapp 100 000 Euro. Dafür kann man ‘ne Menge Süßigkeiten kaufen. Warum sie Gehalt bekommt? Um zu betonen, dass die spanischen Royals Angestellte des Staates sind. Anders als in England. Dort gehört das Land quasi mit Haut und Haaren, mit Bäumen und Tieren der Krone. Jeder Besitz ist letztlich nur Leihgabe.
In Spanien aber sind die Royals Lohnempfänger, angestellt vom Volk.
Was uns von diesem Tag in Erinnerung bleiben wird: Wie Leonor und ihre kleine Schwester Sofía (7) auf dem Podest saßen, immer wieder lächelnd, immer wieder stolz auf ihren Vater blickend, wie er vor den versammelten Abgeordneten seine Antrittsrede hielt. So ein Bild wirkt mehr als jedes Wort der väterlichen Rede.
Kinder sind nun einmal die Geheimwaffe der Monarchien. Sie verheißen Zukunft. Und Hoffnung.
Können wir das nicht alle gut gebrauchen? Aber wer bei Felipes Rede aufmerksam zugehört hat, dem wird davon ebenfalls einiges in Erinnerung bleiben.
Felipes Regentschaftsprogram war unerwartet politisch. Unerwartet präzise. Unerwartet programmatisch.
Er sprach von der Modernisierung der Monarchie. Er sprach von der Einheit des Landes. Er sprach auch den tiefen Spalt an, der seit Jahrzehnten mitten durch Spanien geht. Den zwischen Modernisten auf der einen Seite und Traditionalisten auf der anderen Seite. Den einen ist der Dreierbund aus Kirche-Thron-Armee zuwider. Die anderen sehen immer in Homo-Ehen, Recht auf Abtreibung, aktive Sterbehilfe die Abkehr von allem, was Spanien immer heilig war. Im Grunde bilden diese beiden Gruppen zwei komplett getrennte Nationen im gleichen Land. Sie wollen nichts miteinander zu tun haben.
Felipe sagte in seiner Rede mahnend, fast drohend: „Wir wollen ein Spanien, in dem das Verständnis füreinander nicht abbricht!“
Er erinnerte damit die Spanier an ihre Pflicht und Schuldigkeit, die Bunker ihrer Vorurteile zu verlassen und auf Andersdenkende zuzugehen. Der König als Verkörperung der Einheit. Der König als Versöhner der Unversöhnlichen. Wenn Felipe das schafft, dann wird er ein großer König.
„Mehr denn je“, sagte Felipe in seiner Rede auch, „muss der Monarch ein Vorbild in ethischer Hinsicht sein.“
Das ist mehr als nur eine Anspielung auf die Verwerfungen, die seinen Vater vermutlich dazu gebracht haben, den Thron zu räumen.
Felipe definiert damit den Anspruch an sich selbst: Er will die verlorene Glaubwürdigkeit des Königshauses als überparteiliche, moralische Instanz zurückgewinnen.
Wie er das machen will? Cristina (49), die ältere seiner beiden Schwestern, war ausgeschlossen worden von den heutigen Feierlichkeiten. Sie ist in den hässlichsten der Familienskandale verwickelt, die Veruntreuung öffentlicher Gelder. Felipe hat seine Modernisierungsmaßnahmen schon angekündigt. Und in seiner Thronrede durch die Erwähnung „der notwendigen Reformen des Königshauses“ noch einmal hervorgehoben: Er will die Ausgaben des Königshauses (obwohl die im internationalen Vergleich übrigens mickrig sind) weiter reduzieren.
Er will die Zahl der vom Staat bezahlten Familienmitglieder zurückfahren. Künftig wird „das Königshaus“ nur noch aus ihm, Letizia, den beiden Töchtern sowie dem bisherigen König Juan Carlos und seiner Sofía bestehen. Ende.
Felipes ältere Schwestern verlieren zwar nicht ihren Titel, wohl aber ihren Status.
Felipe und Letizia fuhren nach dem Staatsakt im Kongressgebäude in einem offenen, langsam fahrenden Rolls-Royce, obwohl das Innenministerium dringend davon abgeraten hatte. Felipe winkte stehend, Letizia saß neben ihm. Sie hielt sich heute bewusst zurück, ließ ihm das Rampenlicht. Das spanische Staatsfernsehen hatte massenhaft Fähnchen mit den Nationalfarben verteilen lassen. Anti-monarchische Plakate waren heute übrigens polizeilich verboten.
Madrids höchstes Regionalgericht hatte diese Maßnahme – um die öffentliche Ordnung zu wahren – gestattet. Als Felipe und Letizia unter „Viva España“-Rufen den Plaza de España passiert hatten, fuhren sie in den Palacio de Oriente, eines für öffentliche Zeremonien genutzten Königspalastes. Dort erst, vor dem Empfang für 2000 Ehrengäste, kurz bevor sie an den Balkon traten, trafen sie auf den alten König.
Juan Carlos (76), der den Königstitel ehrenhalber behalten wird, war der Zeremonie im Kongressgebäude ganz bewusst ferngeblieben, um Felipe ganz im Zentrum sein zu lassen.
Als Felipe nach der „Juramento y Proclamación“, dem Schwur- und Ausrufungsakt, die Gratulationen der wichtigsten Politiker und Staatsbeamten entgegennahm, wechselte er mit allen ein paar Worte. Nur mit Artur Mas (58), dem höchsten Repräsentanten des abspalterischen Kataloniens, redete er länger, hörte ihm zu, antwortete, hörte wieder zu.
Die Gratulationscour kam ins Stocken. Auch [–>das[–> ein Signal, das im ganzen Land verstanden wurde.
Felipe sagte damit: „Ihr stolzen Katalanen, wir hören euch zu!“
In ganz Spanien wurde heute auf den König angestoßen. Mit einem traditionellen „Viva El Rey, Viva España“ – außer in Barcelona, der katalanischen Hauptstadt. Dort wäre man heute mit so einem Spruch unangenehm aufgefallen. Das wird die größte Herausforderung in der Regentschaft Felipes: die wachsende Frustration der wohlhabenden und fleißigen Katalanen mit dem Rest des Landes. Die Katalanen schauen mit Verachtung auf die südlichen Landesteile Spaniens, wo es eine Art Volkssport ist, den Staat zu übervorteilen, wo es nur geht.
In Barcelona wurde in manchen Straßencafés sogar das Ausscheiden der Nationalelf beklatscht. Weil die Nationalspieler das verachtete spanische Königswappen auf dem Herzen tragen.
Immer mehr Katalanen wollen die Abspaltung.
Felipe besucht die Region im Nordosten Spaniens regelmäßig, mehr als jede andere Region. Obwohl er weiß, dass er dort ausgebuht wird. Immer wieder hat er katalanischen Politikern signalisiert, dass er ihrem Ruf nach mehr Autonomie entgegenkommen will.
„Die Wahrheit ist nur leider“, sagt der Schriftsteller Miguel-Anxo Murado, „dass Felipe mit diesen Gesten bislang nur die Konservativen verärgert hat, ohne dabei die Herzen der Katalanen zu gewinnen.“
Felipe wird viel Fingerspitzengefühl benötigen, um die Risse, die durch dieses Land gehen, zu heilen.
Aber wenn ihn etwas auszeichnet, dann das: Fingerspitzengefühl. Juan Carlos war volkstümlich, ungezwungen. Legendär, wie er einst dem gefürchteten Dauerredner Hugo Chávez bei einem Gipfeltreffen lateinamerikanischer Staatschefs mit einen undiplomatischen „Halts Maul!“ über den Mund fuhr. Juan Carlos’ „Por qué no te callas!“ wurde umgehend Spaniens beliebtester Handyklingelton.
Felipe hingegen ist eher der taktvolle Typ. Er hat ein nachdenkliches Naturell. Er kann zuhören. Genau die Tugenden, die jetzt gefragt sind.
Warum ich noch kein Wort über Letizia verloren habe?
Weil sie sich an diesem Tag ganz bewusst zurückgenommen hat. Sie ist – wie es schon Sofía für Juan Carlos war – der wichtigste Berater des Königs. Sie wird so manche Zügel in der Hand halten. Aber diskret. Sie strahlte heute in stiller Eleganz, keine auffälligen Farben, keine auffälligen Gesten. Liebevoll kümmerte sie sich um die Töchter. Das Rampenlicht überließ sie Felipe.
Was auffiel: Letizia lächelte viel.
Das hat sie in den letzten Jahren wenig getan, zumindest in der Öffentlichkeit. Der Druck, in der Wartestellung zu sein, die Last in Erwartung des Kommenden, muss gewaltig gewesen sein. Diese Bürde ist jetzt weg. Nun ist es an ihr und Felipe, dem Land ein neues Gesicht zu geben. Wenn man in die Gesichter dieser jungen Familie blickt, kann man da eigentlich ganz zuversichtlich sein.
Und irgendwann wird’s auch wieder mit dem Fußball klappen.
Mit spanischen [–>und[–> katalanischen Spielern im gleichen Team. Mit Königswappen auf dem Herzen.
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